// Interview im Münchner Merkur
12 Jan
Interview im Münchner Merkur
Führungsduo Retzer/Becker über die Perspektiven im Hachinger Tal
Mit freundlicher Genehmigung des Münchner Merkurs.
Bericht: Umberto Savignano
Foto: Walter Slavik
Im Doppelinterview spricht das Führungsduo Retzer/Becker über die Perspektiven im Hachinger Tal
Unterhaching/Taufkirchen – Mit den Bayernliga-Teams von HT München haben die Handball-Abteilungsleiter Wilhelm Becker vom TSV Unterhaching und Dr. Moritz Retzer vom SV-DJK Taufkirchen in dieser Saison viel Freude. Die Männer sind als Spitzenreiter der Süd-Staffel in die Play Offs eingezogen, die Frauen als Tabellendritter ebenfalls. Im Gespräch mit unserer Zeitung äußert sich das Führungsduo der Spielgemeinschaft aus dem Hachinger Tal zu den Perspektiven der Top-Teams, aber auch zur Entwicklung der seit 2017 im Jugend- und seit 2018 im Erwachsenenbereich bestehenden Kooperation. Beide sind Vereinsurgesteine: Becker, 39, begann mit 18 beim TSV Unterhaching, spielte aber auch einige Jahre für HaSpo Bayreuth, Retzer, 29, fing mit elf Jahren in Taufkirchen an und ist heute in der dritten HT-Mannschaft aktiv. Während der Kinderarzt Retzer 2020 die Spartenführung übernahm, ist Becker, Vater eines zweijährigen Sohnes und von Beruf IT-Berater, erst seit vergangenen August im Amt.
Was sagen Sie zur Bilanz der Bayernliga-Teams?
Becker: Die Männer waren wirklich erfolgreich übers ganze Jahr. Wir haben in der alten Saison hinten raus den Klassenerhalt geschafft. Das Trainerduo Thomas Schibschid/Friedl Stoller hat das super gemacht, trotzdem haben wir in den letzten vier Spielen aus Vereinssicht ein Zeichen setzen müssen, haben „Danger“ (Spitzname des aktuellen Trainers Johannes Borschel – d. Red.) schon früher geholt, nachdem fest stand, dass er zur neuen Saison kommt. Mit der Entwicklung der Mannschaft unter ihm sind wir superzufrieden. Mit nur zwei, drei Neuzugängen sind wir vom Fast-Absteiger zum fast ungeschlagenen Tabellenführer geworden. Und der Spielstil ist großartig, mit brutalem Tempo, schön für die Zuschauer. Man sieht und hört es auch in der Halle, dass das wieder Eventcharakter gewinnt.
Retzer: Es ist schon ein deutlicher Unterschied zur letzten Saison, was das Tempospiel und die Dynamik angeht. Aus einer Superabwehr heraus die schnelle erste und zweite Welle, das ist sehr effektiv und sehr attraktiv anzuschauen.
Becker: Wir sind auch stolz, dass unser Konzept, junge Spieler früh in die erste Mannschaft einzubauen, so gut aufgeht. Die zweite Mannschaft ist ja eigentlich eine U23, aber wir haben fast gar keine Spieler mehr, weil die alle schon in der Ersten sind. Danger und unser Jugendkoordinator Markus Wanger leisten tolle Arbeit, sodass wir auch superjunge Spieler mit Bayernliganiveau haben.
Retzer: Und dann sind da auch viele lokale Spieler, wie Julian Benecke, Florian Wastl, Christoph Behm oder unsere Neuzugänge Tobias Fehrenbach und Torwart Constantin Schleßiger.
Und die Frauen?
Retzer: Da ist es relativ ähnlich. Wir hätten nicht gedacht, dass wir zu diesem Zeitpunkt so gut dastehen, dass wir den Klassenerhalt schon geschafft haben. Was für „Danger“ gilt, gilt auch für Trainer Andreas Fehrenbach, Co-Trainer Fabian Wagner und Torwarttrainer Christoph Schwarz. Die Stimmung in der Damenmannschaft ist aktuell extrem gut.
Beide Mannschaften haben wenige externe Neuzugänge.
Ist die HT-Nachwuchsarbeit ein großer Erfolgsfaktor?
Retzer: Ganz klar. Wir haben über Jahre gute Jugendarbeit geleistet. Die Früchte können wir jetzt ernten und in ein, zwei Jahrgängen rückt auch noch mal was nach.
Becker: Unser Ziel ist es, im Jugendbereich Spitzensport und Breitensport zu verbinden. Wir wollen überall zwei Mannschaften haben, eine in der höchsten Spielklasse und eine darunter. Wir haben viele Mitglieder und es soll ja jedem Spaß machen. Da haben wir ein gutes Angebot geschaffen. Wir sind aber sicher noch nicht am Ende. Moritz und ich haben nach meinem Amtsantritt viel geredet über Prozesse und die Kommunikation zwischen Jugendtrainern: Wer spielt nach oben weg in den aktiven Bereich hinein? Das Grundgerüst von Breiten- und Leistungssport steht und wir haben tolle, engagierte Jugendtrainer, sowohl männlich wie weiblich.
Ist dies nur möglich durch die Zusammenarbeit in der Spielgemeinschaft?
Retzer: Man hat sich davor schon Spieler gegenseitig weggeklaut, da war Konkurrenz mit Derbys in allen Altersklassen. Wenn hier im Hachinger Tal mit so vielen sportverrückten Leuten, die die Kinder zum Sport schicken, so ein Anziehungspunkt da ist mit so einem erfolgreichen Handballverein, kommt vielleicht der eine oder andere noch mehr und man muss sich keine Sorge machen, dass er zum lokalen Nachbarn geht.
Becker: Positiv ist auch die Hallensituation. Wir haben mehr Kapazitäten, dadurch ein besseres Training. Das zahlt sich für alle aus.
Retzer: Da schulden wir auch den beiden Hauptvereinen unseren Dank.
Gibt es auch Nachteile der Spielgemeinschaft?
Becker: Das Bündeln der Trainer, der Hallen, der Ehrenamtlichen, die einen wahnsinnigen Job machen: Das bietet in meinen Augen nur Vorteile. In der Jugend gibt es sowieso nur noch Leute, die den HT kennen.
Retzer: Als ich Abteilungsleiter wurde, war das noch ein Thema, jetzt stellt sich die Frage gar nicht mehr. Aktuell diskutieren wir nur: Wie verbessern wir uns?
Gibt es irgendwo noch die Trennung zwischen Taufkirchen und Unterhaching?
Retzer: Offiziell bei den Minis, aber nur weil es praktischer ist.
Becker: Das ist auch dem wahnsinnigen Andrang geschuldet.
Wo kann die Zusammenarbeit noch optimiert werden?
Becker: Das Schöne ist: Wenn man sich nicht mit sich selbst beschäftigt, kann man sich auf die wichtigen Sachen konzentrieren. Und es gibt viel zu tun. Durch die Erfolge ist die Erwartungshaltung an uns höher, was volle Halle oder Sponsoring betrifft. Es geht also um Abläufe. Wir müssen uns als Verein professioneller aufstellen. Da haben wir jetzt relativ schnell Hausaufgaben bekommen, weil die aktiven Mannschaften so erfolgreich sind. Und wir arbeiten dran. Wirklich gut sind wir bei unserem Social Media Account. Wir haben an jedem Heimspieltag drei Fotografen in der Halle, haben knapp 2000 Follower, sind hier vielleicht sogar bayernweit ganz oben dabei mit einem tollen Auftritt.
Was ist das Ziel für die Play Offs und wie stehen die Chancen?
Retzer: Bei den Frauen waren wir sehr begeistert, dass wir so früh den Klassenerhalt geschafft haben. Da wollen wir so gut wir können mitspielen, die 3. Liga ist noch nicht das Ziel. Bei den Herren gestaltet es sich ein bisschen anders. Nach einem so souveränen Auftritt und als die Konstante in der Bayernliga, verschließen wir uns nicht vor der Perspektive, in die 3. Liga aufzusteigen. Das Ziel ist aber generell, HT auf die nächste Ebene zu bringen.
Becker: Was etwas undankbar ist: Wir haben die erfolgreichste Hinrunde im Herrenbereich, an die ich mich erinnern kann, gespielt. Es wird in den Play Offs aber alles auf null zurückgesetzt. Wir rechnen schon mit einer Top-Platzierung, weil die Mannschaft trotz der Verletzten bewiesen hat, dass sie sehr lange auf konstant hohem Niveau spielen kann. Wir freuen uns drauf, dass wir mit unserem breiten Kader auch in den Play Offs Akzente setzen können. Wir setzen uns mit dem Szenario Aufstieg auseinander.
Gibt es also einen Erwartungsdruck?
Becker: Ich würde sagen, nein. Der älteste Spieler ist 27, der nächste 25, der Rest ist höchstens 21. Auf so eine junge Mannschaft Druck aufzubauen, ist falsch. Ich freue mich, der Mannschaft zuzuschauen, sie spielt so einen tollen Handball. Ich bin überzeugt, dass sie mit Danger als Trainer und dem Spirit weit kommen kann. Auch die Niederlage gegen Anzing kam zum richtigen Zeitpunkt, jetzt wissen alle, wie sich das anfühlt. Wir sind gut gewappnet und freudig gespannt.
Retzer: Die Jungs sind so heiß, das reicht als Motivation. Da würde es nichts bringen, wenn wir von außen sagen: Es muss sein. Und wenn es nicht klappt, ist auch nichts verloren.
Becker: Wir sind ja keine Profis, niemand kriegt Geld. Wie will ich da Druck aufbauen? Soll ich sagen: Du kriegst keinen Schlüsselanhänger? Wir versuchen, in unserem familiären Umfeld der Mannschaft alles zuzuliefern, was sie braucht, um erfolgreich zu sein. Den Rest machen sie gerade selber ziemlich gut.
Retzer: Das bestmögliche Setting schaffen und schauen, was dabei rauskommt.
Wo soll es langfristig hingehen? Über die 3. Liga hinaus?
Retzer: Es gibt eine Grenze des Ehrenamtes. Wir haben alle einen Job. Um höhere Ziele anzupeilen, brauchst du irgendwann professionellere oder zumindest Teilzeitkräfte. Die 3. Liga ist für uns machbar, alles andere müsste man schauen und gut planen.
Becker: Im Herrenbereich sind wir durch die Bank schon so aufgestellt, dass das nachhaltig ist und man perspektivisch die 3. Liga stemmen kann. Bei den Damen spielt die zweite Mannschaft deutlich niedriger. Da muss man noch mal kucken, auch wenn wir von den Trainern überzeugt sind. Wir haben da aber noch nicht zehn 21-Jährige, die wir reinwerfen können. Was das Sportliche angeht, sind wir mittelfristig auf einem sehr guten Weg. Die 3. Liga muss man erstmal schaffen, wenn man sich Fürstenfeldbruck anschaut, die oft auf- und wieder abgestiegen sind. Bayerische Aufsteiger tun sich immer schwer. Das müssen wir auch als Verein lernen. Wir arbeiten an unserer Professionalisierung.
Retzer: Wenn man sich die Landkarte mit den Vereinen der 3. Liga anschaut: Blau ist die Staffel Süd. Und da gibt es in Bayern gerade mal einen blauen Punkt für Fürstenfeldbruck. Der nächste ist dann irgendwo bei Stuttgart, 250 Kilometer weit weg. Warum sieht diese Karte so aus? Das liegt nicht daran, dass wir in Bayern das nicht wollen würden als Handballfamilie. Ich habe das Gefühl, dass das historisch so gewachsen ist, dass der Handball in Bayern nie so die Förderung gesehen hat.
Becker: Lass uns mal einen petrolblauen Punkt in München setzen und kucken, dass wir in Südbayern wieder ein bisschen Farbe reinkriegen. Es ist unser Ziel, uns zu verbessern, sportlich und organisatorisch und dafür tun wir alles. Irgendwo ist bei uns, die wir alle berufstätig sind oder Väter oder was auch immer, ein Limit. Aber wir sind viele, die Bock haben.
Das Jahr hat nicht nur sportlich Gutes gebracht. Der Spielbetrieb konnte endlich wieder normal durchgeführt werden. Aber hat die Corona-Pandemie nachhaltige Spuren bei den Mitgliedern hinterlassen, speziell auch im Nachwuchs?
Becker: Ich bin erst danach Abteilungsleiter geworden, da halte ich mich zurück.
Retzer: Wenn man die Zahlen anschaut: Fast alle Mitglieder sind geblieben. Für mich als Abteilungsleiter war es mit die erste Aufgabe, Hygienekonzepte zu entwickeln. Das war zwei Jahre lang nicht das, was man in diesem Job machen will. Und ich bin sehr froh, dass dieses Kapitel im Moment hoffentlich zugeklappt ist und bleibt und wir uns auf den Handball konzentrieren können.
Das Gespräch führte Umberto Savignano.